Mein letzter Schulausflug

Es war an einem heißen Tag gegen Ende des Schuljahrs in der 11.Klasse meines Heilbronner Gymnasiums, wenn mein Kalendereintrag mich nicht täuscht, war es der 12.oder 13. Juli 1965. Ich war siebzehn. Wie in jedem Schuljahr machten wir kurz vor den Sommerferien den Schulausflug. In diesem Jahr sollte die Minneburg am Neckar Foto: Letzter Schulausflug das Ziel sein. Soweit ich mich erinnere, sind wir mit dem Zug zu einer Bahnstation gefahren, um von dort zu Fuß zu diesem Ziel zu wandern. Ein großer Teil des Weges führte mitten durch die Sonnenhitze. Das hat mich sehr mitgenommen, ich konnte immer weniger mithalten. Immer wieder setzte ich mich in den Schatten eines der großen Obstbäume an der Landstraße. Die anderen gingen weiter, nur meine Klassenkameradinnen Ulrike, Ingrid und Birgit blieben bei mir. Nach einer Pause ging es wieder für zehn Minuten weiter. Aber dann hat mein linkes Bein wieder nachgeschleift ist, haben sie mich unter den Arm gefasst und weiter voran gezogen. Nach kurzer Zeit ging gar nichts mehr, ich musste mich wieder in den Schatten setzen. Einige Minuten später hatte ich mich wieder ein wenig erholt und wir versuchten wieder, Anschluss an die nun schon weit voraus wandernde Klasse zu gewinnen. So ging es eine Weile, die nötigen Pausen wurden allerdings immer länger. Schließlich kam unser Lehrer Eggert zurück, um zu sehen, wo wir geblieben waren. Er schaute immer wieder auf die Uhr, weil wir einen bestimmten Zug in Neckargerach erreichen mussten. Schließlich schien gar nichts mehr zu gehen. Herr Eggert fragte mich nach meinem Gewicht. „50 Kilo“, sagte ich. „Das muss ein römischer Legionär tragen können!“ Er war nämlich Lateinlehrer. Nach einer weiteren Notpause sagte er: „Doris, lassen Sie sich tragen! Das ist ein Befehl!“ Zuerst wollte ich überhaupt nicht, aber schließlich gab ich nach, und er nahm mich wie ein kleines Kind auf seine Schultern. Wie er damit klar kam, weiß ich nicht mehr. Ich hielt mich mit den Händen unter seinem Kinn fest. Es war eine ziemlich wackelige Angelegenheit. Die Fotoapparate sämtlicher Klassenkameradinnen haben das natürlich festgehalten. Aber es war für mich nicht so spaßig, wie es auf dem Bild herüber kommen mag. Es ging mir ja nicht gut und ich genierte mich auch.

Dieses Erlebnis hat mir gezeigt, dass ich solche langen Wanderungen nicht mehr machen konnte. Bei den nächsten Ausflügen blieb ich zu Hause.

In den folgenden Sommerferien und mehrmals auch später während der Schulzeit habe ich bei akuten Gang-Verschlechterungen zu Hause eine Kortisonkur gemacht. Dazu wurde wie schon in Tübingen möglichst Bettruhe verordnet. Das heißt: ich habe drei bis vier Wochen meist gelegen, tagsüber auf dem Bett meiner Mutter im Elternschlafzimmer unten neben dem Wohnzimmer. Ich hatte schon vorher viel gelesen, aber jetzt las ich oft stundenlang am Stück. Meist lag ich auf die Arme gestützt vor meinem Buch, so lange bis mir die Ellenbogen weh taten. Ich habe mir Bücher aus der Stadtbücherei holen lassen. Damals habe ich Lektüregrundlagen erworben: viele Schauspiele merkwürdigerweise, aber auch Romane. Außerdem habe ich damals angefangen klassische Musik zu hören, was in meiner Familie ja gar nicht üblich war. Mein Vetter lieh mir Schallplatten aus.