Dietenbronn (Neurologische Klinik der Universität Ulm)
Kuraufenthalte 1969 - 79, jeweils nach MS-Schüben
Zum ersten Mal kam ich nach dem zweiten Semester in den Sommerferien 1969 dort hin.
Vielleicht fünfmal war ich dort. Nach einer erneuten Verschlechterung anfangs des folgenden Semesters ging ich nochmals im Herbst 69 nach Dietenbronn, vielleicht der einschneidendste Aufenthalt. Das war dann während der Vorlesungszeit und meine Kommilitonen nahmen mir zum Teil die Vorlesungen auf und schickten mir die Tonkassetten zum Abhören.
Ich war noch selbständig, deshalb war das eine schöne Zeit. Ich hatte ein Einzelzimmer und konnte ins Bett, wann ich wollte und bin auch nicht geweckt worden. Es war eine Situation eher wie in einem Erholungsheim, nicht wie im Krankenhaus.
Beim Aufenthalt im November 1969 hatte ich den stärksten ACTH - Rausch. Dieses Hormon wurde gespritzt und war der zentrale Teil der Kur. Es begann mit hohen Dosen, die allmählich reduziert wurden. Ich war richtig verrückt, alles war schön und bunt. Intensive Farben habe ich gesehen, begonnen alles mögliche zu sammeln, Steine, kleine Dinge zu klauen. In mir war eine unheimliche Unruhe, es trieb mich dauernd zu allen möglichen Aktivitäten. Viele Briefe habe ich geschrieben, drei, vier am Tag sicher. Hauptsächlich an Peter, aber auch an andere Leute die mir wichtig waren. Die Gedanken jagten sich, ein neuer kam, bevor der alter fertig war, intensive Gefühle, hoch und tief wechselten sich ab, ich war wie zerrissen, fühlte mich gerne so lebendig, wollte mich bewegen, so oft es ging. Es war anstrengend.
Aus einem Brief damals:
"Ich könnte reden, reden, denken, schreiben, und immer wär es doch nicht genug, ich müßte jemand da haben der zuhört, zurückweist... Schwindlig, kein Schlaf. Gedanken, die sich allein denken. Verrückte Ideen, Schritte, Regen, Stimmen, Rausch. Hol mich doch raus! Verrückte Briefe. ‚Herzog- Briefe’, gedachte an alle möglichen Leute. Ich muss Leute kennen lernen..."
Diese Zeit erlebte ich als Umbruch, als Neubeginn. Ich wollte nun wieder am Leben teilnehmen, wollte auch genießen,
was möglich war. Deshalb fiel es mir leicht, die strenge Eversdiät nach über einem Jahr abzubrechen.
Ich bin mit den Zivildienstleistenden der Klinik weggefahren, nach Ulm oder Biberach, einmal am Wochenende sogar nach München. Wir haben Rockmusik gehört, das war ja die große Zeit von Eric Burdon oder den Rolling Stones. Mit dem dortigen Zivi Max habe ich sogar eine Beziehung angefangen.
Ich wollte auf nichts verzichten, wollte alles ausprobieren damals.
In einem der folgenden Kuraufenthalte habe ich dann mit dem Aquarellmalen begonnen. Das ging noch gut mit der Hand damals. Eine Mitpatientin war nämlich eine ausgebildete Malerin aus Ulm, Annemarie Hammer-Fleck. Sie hat mich sehr motiviert, mir einiges gezeigt und vorgemacht. Ich hatte von da an immer Farben, Pinsel und Blöcke dabei bei den Krankenhausaufenthalten und allen Urlauben.
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