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Studium in Heidelberg: Psychologiestudentin Einen wichtigen Entschluss traf ich dann doch: Ich habe ich mich in Heidelberg immatrikuliert für das Wintersemester 68/69. Ich fuhr mit meinen Eltern dorthin und erledigte die Formalitäten. Ich beantragte auch ein Zimmer in einem Studentenwohnheim und bekam ein Doppelzimmer mit meiner Schulkameradin Doris zusammen, die Jura studieren wollte.An mein eigenes Studium selber aber habe ich nicht gedacht und habe mich nicht weiter darum gekümmert. Eines Tages sprach mich der Mann einer Kusine an, dass seine Patentochter Eva in Heidelberg im ersten Semester Psychologie studiere. Auf sein Drängen schrieb ich ihr einen Brief. Sie kam dann mit ihrem älteren Bruder Peter am Nachmittag des Silvestertags 1968 zu uns in die Wohnung. Da habe ich meinen späteren Lebensgefährten zum ersten Mal gesehen. Beide redeten mir zu, mit dem Studium anzufangen, obwohl ein großer Teil des Semesters schon vorbei war. Sie wollten mir bei der Organisation des Alltags helfen. Sie haben mich soweit gebracht, dass ich dann in der übernächsten Woche mit ihnen nach Heidelberg fuhr. Da habe ich mich beim Studium, soweit es ging, an andere angehängt. Aber in meinem Bewusstsein war das Studium vor allem eine Beschäftigungstherapie. Ich sah ein, dass es wichtig war, sich mit etwas zu beschäftigen. Inhaltlich interessierte mich kaum etwas wirklich. Am Anfang bin ich auch noch selber Auto gefahren mit meinem DAF, der hatte eine automatische Gangschaltung. Ich fuhr vom Studentenheim im Neuenheimer Feld ins Institut in der Hauptstraße. Das schlimmste war für das Überqueren der Hauptstraße mit den vielen Fußgängern. Ich hatte Angst jemand anzufahren. Nach dieser kurzen Fahrt war ich fix und fertig. Deshalb habe ich dann das Auto geteilt mit Kommilitoninnen, vor allem mit Gisela Bloch und Gisela Eickelmann, die auch im Studentenheim wohnten. Wir haben die gleichen Veranstaltungen besucht und sie haben das Auto gefahren. Eickela ist dann von einer Faschingsbekanntschaft schwanger geworden. Ich erinnere mich, dass wir dann im Frühjahr einen ganzen Tag freigenommen haben und auf den Heiligenberg hochgefahren sind, um darüber zu sprechen, ob sie abtreiben solle. Gisela Bloch hat mich auch sehr unterstützt, aber sie hat dann – schade für mich – begonnen, Medizin zu studieren, als Zweitstudium, sie hatte von da an wenig Zeit. Aber sie ist die einzige aus dieser ersten Studienzeit, mit der ich bis heute Kontakt habe und befreundet bin. Später kamen weitere Freundinnen dazu, vor allem Renate Gouders. In die Heuscheuer, wo viele Vorlesungen waren, z.B. Entwicklungspsychologie, bin ich anfangs mühsam hochgestiegen in den ersten oder zweiten Stock. Als das dann zu schwierig wurde, habe ich mir Vorlesungen auf einem Kassettengerät aufnehmen lassen. Teilweise habe ich sie später abgehört, aber nicht alle. Es kamen die Streiks der Studentenbewegung. Es ist viel ausgefallen, zum Beispiel sind die Statistikkurse bestreikt worden. Aber diese ganze Studentenbewegung ging ziemlich an mir vorbei. Die Botschaft war ja: Die Probleme der Arbeiterklasse und die Befreiung der Gesellschaft sind das wichtigste. Stellt eure persönlichen Probleme zurück! – Es gab kaum jemand, mit dem ich über meine MS-Probleme reden konnte. Ich war damit weitgehend allein. Wie oft bin ich im Studentenwohnheim, einem Hochhaus am Fenster gestanden und habe gedacht: Da springe ich mal hinunter. Gut war immerhin, dass ich von zu Hause weg war. Damit hatte ich einigermaßen meine Freiheit, weg von der mütterlichen Sorge. Ich konnte ziemlich bedürfnislos leben konnte, vor allem auch weil ich mich noch ganz streng an die Evers-Diät hielt. Das war mein Strohhalm damals. Ich habe mich einfach mitziehen lassen, ein Seminar nach dem andern gemacht, wie meine Kommilitoninnen. Streckenweise habe ich das Studium hängen lassen, aber auf das Vordiplom habe ich dann intensiv gelernt und da auch gute Noten bekommen. Lange habe ich nicht geglaubt, dass ich fertig studieren würde. Einmal war ich beim Institutsdirektor Franz Weinert in der Sprechstunde, um zu fragen, ob ich auch mit dem Vordiplom beruflich etwas anfangen könnte. Das hat er verneint und geraten, bis zum Diplom weiter zu machen. Beim Vordiplom konnte ich noch gehen, wenn mich jemand am Arm hielt. Ins philosophische Seminar zur Prüfung bei Professor Ernst Tugendhat, hat mich beispielsweise Peter geführt. Dieser damals noch nicht bekannte Philosoph war sehr freundlich. Vorher hatte ich furchtbar Angst gehabt, Peter hat mich fast mit Gewalt hingebracht, und Tugendhat hat dann dann ein angenehmes Prüfungsgespräch mit mir geführt. Manchmal habe ich mir einen Rollstuhl ausgeliehen von Kai, einem Querschnitt-Behinderten, der im gleichen Studentenhochhaus wohnte. Er hatte einen Ersatzrollstuhl. Damit habe ich mit Peter zusammen dann Ausflüge gemacht. So haben wir einmal die Wildenburg bei Amorbach mit dem Rollstuhl bestiegen. Wie die meisten Leute mit Behinderungen, hatte ich eine deutliche Abneigung gegen den Rollstuhl. Erst zur Hauptdiplom-Zeit habe ich dann einen eigenen bekommen. Das entpuppte sich dann als Befreiung für mich. Erst danach habe ich Heidelberg richtig kennen gelernt, vorher mussten ja alle Wege möglichst kurz sein. |