Über das Leben mit Helfern

Unsere Zivildienstleistenden und Helfer

Eine wichtige Besonderheit meines Lebens ist seit fast 30 Jahren das andauernde Zusammensein mit Helfern. Nur diese Zivis und Helfer haben mir das Leben der letzten dreißig Jahre ermöglicht. Immer wieder haben wir andere Behinderte kennen gelernt, die von ihren Helfern eher recht und schlecht versorgt wurden. Aber sie wehrten sich trotzdem mit Händen und Füßen davor, stattdessen ins Heim zu kommen. Auch ein Minimum von Selbstbestimmung ist besser als fast ausschließliche Fremdbestimmung: Und die meisten Helfer ermöglichen uns Behinderten weit mehr als dieses Minimum: Ich kann sagen, wann ich aufstehen will oder hinliegen will, ich kann sagen, was ich essen will. Ich kann meinen Tagesablauf bestimmen. Wenn ich einen einigermaßen motivierten Helfer habe, dann muss ich mich nicht mit einem Fachpersonal auseinandersetzen, das alles besser weiß.
Ich konnte Neues ausprobieren: Vieles habe ich mit den Helfern zusammen oder von ihnen gelernt: Computerarbeit, Scannen, Bilder bearbeiten, sprachgesteuerte Textverarbeitung. Ich konnte die Woche planen, den Tag, je nachdem, wie es mir ging.
Meine Helfer waren überwiegend Männer, weil mir in den ersten zwanzig Jahren meiner Betreuungszeit, fast nur Zivildienstleistende geholfen haben. Das waren also immer junge Leute, sehr junge zum Teil. Anfangs war der Altersunterschied noch gering, da gab es manchmal kameradschaftliche Umgangsweisen. Später hatte das Verhältnis auch Anteile der Mutterrolle, ja nicht selten der (psychischen) Betreuung des Betreuers.
Intimbereich, Nähe, öffentliche Person:
Sie wissen fast alles von mir. Es dürfte kaum ein Arbeitsverhältnis geben, wo von heute auf morgen zwei Leute so eng zusammenhängen, die sich vorher noch nie gesehen haben. Schamgrenzen überschreiten: ein Helfer hatte furchtbar Angst davor, dass ich meine Tage bekomme. Er war richtig entsetzt, als ihm das klar wurde: „Das kann ich nicht, das kann ich nicht!“
Bild: Erhard, ein Lieblingszivi Das Ansprechen von Schwierigkeiten
Mit der Zeit habe ich eine Art Routine gelernt, wie ich mit neuen Helfern umgehen muss. Die Einlernphase habe ich als besonders wichtig erkannt, sie war eine Zeit hoher Aufmerksamkeit. Ich hatte dabei schon Vorteile als Psychologin mit meiner Erfahrungen in Gruppen und Therapien. Immer habe ich mir vorgenommen Feedback zu fordern und zurückzugeben, vor allem natürlich am Anfang. „Wie war der Tag für dich heute?“ „Was hat dir Probleme gemacht?“ Meistens habe ich ein Gespür dafür bekommen, wie mein Zivi sich am jeweiligen Tag gefühlt haben und was ich zu erwarten hatte. Schon an der Art wie sie den Rollladen hochzogen, habe ich oft gemerkt, was los war. Und darauf musste ich mich einstellen. Oft war mir dann klar, dass ich erst einmal „gut Wetter machen“ musste. Ein wichtiger Grundsatz, den ich dabei gelernt habe, war: Wenn es dem Helfer gut geht, dann geht es mir auch gut. Also habe ich bei vielen versucht so eine Art Gefühlsmanagement zu betreiben.
Einseitigkeit
Woran wir uns auch gewöhnen mussten, war die Einseitigkeit der Kommunikation. Die Helfer wussten ja sehr viel von mir und von uns. Das war störend bei solchen Kleinigkeiten wie dem Telefonieren. Zwar habe ich sie immer gebeten hinauszugehen, wenn ich am Reden war. Aber da sie für mich die Nummer gewählt haben, wissen sie über meine Telefongespräche Bescheid. Sie wissen, wie es in meinem Geldbeutel aussieht oder auf meinem Konto, wenn sie die Auszüge einheften oder Geld holen gehen. Was die Helfer-Menschen selbst betraf, so gab es umgekehrt viele, die mit ihrem Privatleben hinterm Berg hielten. Sie sahen die Einseitigkeit nicht als Vorschuss, wofür sie etwas zurückzahlen sollten, sondern vielleicht als Vorsprung und Sicherheit. Aber es gab auch die Fälle, dass ich stundenlang mit einem über seine Probleme geredet habe. Mit nicht wenigen habe ich regelrechte Therapiesitzungen gemacht. Ich habe zum Beispiel versucht, ein wenig Gestaltpsychologie zu machen, sie zu konfrontieren. Sie haben geweint... Das war für mich ziemlich wichtig, obwohl ich in dieser Zeit auf anderes verzichten musste.
Abhängigkeit
Ich muss immer bitten, muss immer rufen, bin darauf angewiesen, dass der Helfer schnell kommt. Ich bin darauf angewiesen, dass er macht, was ich möchte, obwohl er es vielleicht für falsch oder überflüssig findet. Deshalb muss ich meine Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche immer möglichst klar darstellen. Ich durfte und darf nicht einfach Befehle erteilen, sondern muss meine Motive möglichst transparent halten. Anders würde das nicht gehen. Das zeigt auch wieder, was für ein merkwürdiges Arbeitsverhältnis das ist.
Insgesamt positiver Rückblick auf die Zivizeit
Ich schreibe im teilweise im Rückblick, denn die Zivi-Zeit hörte vor über fünf Jahren ganz auf: Inzwischen ist die Dienstzeit zu kurz für eine Einarbeitung. Außerdem suchen sich die heutigen jungen Männer kaum mehr eine solche Arbeit. Aber ich denke, dass meine etwa 50 Zivis und ich eine ganz überwiegende positive Bilanz ziehen können. Soweit ich mich erinnere habe ich habe ich höchstens fünf der jungen Männer abgelehnt. Von ihnen aus waren es wohl mehr, die nicht die ganze Zeit bei mir arbeiten wollten. Aber nur ganz selten haben wir uns im Streit getrennt.