Die Wohngemeinschaft 1973 -78

In den siebziger Jahren wuchs in der jungen Generation der Anspruch, auch mit Körperbehinderten zusammenzuleben und damit ihr Leben zu erleichtern. Das war typisch für die Zeit, auch andere Behinderte sind erstmals von zu Hause weggekommen. Nach dem allmählichen Scheitern der „großen Politik“ der Studentenrebellion, ging es um die Mikropolitik des Alltags. Mit dieser Zeitgenossenschaft hatte ich Glück.
Ich hätte nicht mehr allein leben können, es ging mir inzwischen zu schlecht. Mein Vorbild war mein querschnittsgelähmter Studienkollege Wolfgang, der es in eine Parterrewohnung der Altstadt geschafft hatte und durch eine Wohngemeinschaft versorgt wurde.
Lange haben wir nach einer passenden Wohnung gesucht.  Foto: WG-ZeitDas erwies sich als sehr schwierig. Glücklicherweise waren gerade die ersten Hochhäuser im neuen Stadtteil Emmertsgrund fertig geworden. Dort hatte das Studentenwerk Wohnungen angemietet für studentische WGs. Wir bekamen eine solche Wohnung, wohl mit dem Behindertenbonus und weil wir schon als eine feste Gruppe von fünf Leuten auftraten. Ein Vorteil war, dass jeder einen Vertrag bekam, so dass es keine Konflikte durch die Mietabrechnung gab.
Diese Lösung war eminent wichtig für mich. Ohne diese WG hätte ich nicht mein Studium abschließen können und auch nicht anschließend arbeiten können. Die Hilfe für mich wurde aufgeteilt. Jeder hat etwas übernommen, am wichtigsten waren die Fahrten in die Uni und später zur Arbeit.
Wir hatten eine gemeinsame Essenskasse und einen gemeinsamen Kühlschrank. Davon wurde vor allem für das Frühstück und das Abendessen eingekauft und jeder konnte sich bedienen. Nachdem der WG-Genosse Peter Kraft als erster berufstätig wurde und mehr Geld hatte, setzte er durch, dass er sich einen besonderen Käse kaufte und der war dann tabu für die anderen. Etwa zweimal in der Woche wurde gekocht, oft gemeinsam oder wenigstens mit einem Teil der WG-Leute. Die Küche war groß mit einer schönen Essecke für alle. Sie bildete den Gemeinschaftsraum und da spielte sich das gemeinsame Leben ab. Für mich war das etwas nachteilig, weil mein Zimmer, das als Wohnzimmer gedacht war, direkt daneben lag. Abends hat mich das manchmal gestört. Außerdem ging durch mein Zimmer der Durchgang auf den Balkon.
Zunächst haben wir uns jede Woche zu Gruppensitzungen getroffen, später vierzehntägig. Das war einmal, um praktisch die Aufgaben zu verteilen. Aber dann haben wir die Treffs vor allem als Gesprächsgruppe geführt nach einem damals erschienenen Buch von Schwäbisch/Siems, einem Programm für eine Gruppe.
Meine Cousine Traudel, eine Zeitlang WG-Mitglied, sagt heute, dass diese Treffs und das Einüben der Regeln für sie ganz wichtig waren. Sie meint, dass sie sogar bei der Erziehung ihrer Kinder leitend waren. Ihre Tochter, die jetzt Sozialpädagogik studiert und dabei solche Regeln kennen lernt, bemerkte, dass das sei gar nichts Neues für sie sei. Meine Cousine Traudel war über ein Jahr dabei, sie arbeitet während der Zeit als Kindergärtnerin im Uni-Kindergarten. Etwa zwei Jahre lang hat es einigermaßen gut geklappt. Ich hatte einen Fahrdienst für das Ende des Studiums. Aber schon etwa von 1977 an begann es ziemlich zu kriseln, die ersten waren ausgezogen, weil sie fertig mit dem Studium waren oder aus Heidelberg wegzogen. Die Nachfolger hatten nicht mehr so starke Motivationen und wir haben uns auch nicht mehr so intensiv darum gekümmert um sie. Allerdings liefen die Gruppentermine weiter, wenn auch nicht so häufig.
Die ehemaligen WG-Mitglieder sind inzwischen in alle Winde verweht, mit den meisten habe ich keinen Kontakt mehr. Meine Kusine Traudel besucht mich noch regelmäßig fast jede Woche. Mit Hubertus hatten wir hin und wieder Kontakt. Hermann Kähler und Peter Kraft sind vor Jahren an Krebs gestorben.